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Israel Wie ausgewogen berichten ARD und ZDF über den Konflikt in Nahost?
07.08.2006 von Webmaster

von HELMUT BÖGER und ROMAN EICHINGER

Bonn – Vergangenen Sonntag fiel Peter Voß beim ARD-Presseclub aus der Rolle als Moderator. „Ich glaube nicht“, erklärte der SWR-Intendant, „dass Israel sich langfristig dort halten kann. Ich glaube, wir werden irgendwann die Israelis in Europa aufnehmen.“

Am Abend nach der „provokanten Äußerung“ (Voß) begann Ulrich Wickert die Moderation der „Tagesthemen“ vor einem Hintergrundbild, das ein totes Kind auf dem Arm eines Mannes zeigte. Originalton Wickert: „Durch israelische Bomben sterben im südlibanesischen Dorf Kana 37 Kinder. Sie suchten in einem Keller Schutz. Der Angriff wurde auf der ganzen Welt verurteilt. Die Bundesregierung hält sich mit einer direkten Verurteilung zurück.“ Ein Israeli kam in diesen „Tagesthemen“ nicht zu Wort.

Wie offen, wie fair, wie ausgewogen und unparteiisch berichtet das öffentlich-rechtliche Fernsehen über den Krieg im Nahen Osten? BILD am SONNTAG beauftragte das unabhängige Bonner Forschungsinstitut Media Tenor mit einer Untersuchung zum Thema „Die Darstellung des Krieges im Nahen Osten – Medienanalyse der Berichterstattung von ARD und ZDF“.


Media Tenor wertete die vier Hauptnachrichtensendungen („Tagesschau“, „Tages-
themen“, „heute“, „heute-journal“) des öffentlich-rechtlichen Fernsehens aus. Die Forscher sichteten 334 Beiträge in der Zeit vom 21. Juli bis 3. August 2006. Ihr eindeutiges Fazit: „In ihren Hauptnachrichtensendungen werden ARD und ZDF ihrem Auftrag der unparteilichen und unabhängigen Berichterstattung über die Vorgänge im Nahen Osten nicht gerecht.“ So werde in allen vier Sende-Formaten Gewalt „in erster Linie als Tat der Armee Israels vermittelt“. Und weiter: „Die Gewalt der Hisbollah wird erst am Ende der Beiträge erwähnt – wenn überhaupt.“

Besonders kritisiert Media Tenor die für die Medienwirkung wichtige Fragestellung Täter/Opfer. Im Bericht heißt es: „Täter ist in erster Linie Israel, Opfer in erster Linie die Zivilbevölkerung im Libanon.“


Worauf stützt sich diese Interpretation? Das Institut nennt Aspekte wie die folgenden:

• ARD und ZDF legen den Schwerpunkt ihrer Berichterstattung auf den Schauplatz Libanon – „Tagesschau“ mit 70,4 Prozent der Beiträge zum Konflikt und „Tagesthemen“ mit 67,5 Prozent. Die Geschehnisse in Israel machen
dagegen bei allen vier Nachrichtensendungen weniger als zehn Prozent aus.

• Als Aggressor wird deutlich häufiger Israel genannt als die Hisbollah (siehe Grafik). In der Studie heißt es: „Bei ‚Tagesschau‘ und ‚heute‘ ist die Täterrolle eindeutig: In etwa einem Drittel der Beiträge werden dort allein die Israelis als Angreifer dargestellt, rund dreimal so viel wie die Hisbollah. Ausgeglichen ist die Bewertung im ‚heute-journal‘.“ So sah die „Tagesschau“ in 25 Beiträgen ausschließlich die Israelis als Aggressor und nur in acht Berichten ausschließlich die Hisbollah (21-mal beide, 8-mal andere). Beim „heute-journal“ war das Verhältnis 18:13 (25-mal beide, einmal andere).

Roland Schatz, Chef von Media Tenor, zu BamS: „Das ,heute-journal‘ bemüht sich um Ausgewogenheit. Doch unterm Strich gilt: Allen untersuchten Sendungen fehlt die Perspektive aus der Sicht der israelischen Opfer.“


Offenbar gibt es bei der Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender über den Nahost-Krieg deutliche Unterschiede zur Darstellung des Irak-Kriegs 2003. Roland Schatz: „Während des Irak-Kriegs war für die Moderatoren von ARD und ZDF der Einleitungssatz wichtig im Sinne von: ‚Wir berichten über einen Krieg, und jede der handelnden Parteien hat ein eigenes Interesse bei der Zurverfügungstellung von Informationen.‘ Solch einen distanzierenden Satz konnten wir nicht feststellen.“

Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, kritisiert: „Die TV-Nachrichten in ARD und ZDF vermitteln ein unausgewogenes Bild vom Krieg. Sie vernachlässigen die Angriffe auf die israelische Zivilbevölkerung.“

Gestern konfrontierte BamS die Verantwortlichen von ARD und ZDF mit der Studie. Inhaltlich wollte keiner Stellung beiziehen. Klaus-Peter Siegloch, stellvertretender ZDF-Chefredakteur, erklärte: „Zu Untersuchungen von Media Tenor nimmt das ZDF grundsätzlich keine Stellung, weil deren Ergebnisse in der Vergangenheit einer Überprüfung nicht standgehalten haben. Deren Methoden sind unseriös. Die Mehrzahl der Zuschauer, die unsere Nahost-Berichterstattung kritisieren, wirft uns eine Parteinahme zugunsten Israels vor.“

Sein Kollege Kai Gniffke, Chef von „ARD-aktuell“: „Wir berichten unparteiisch, kompetent und verständlich, daran werden auch fragwürdige Studien nichts ändern.“


Wer wird als Aggressor dargestellt?



Die Grafik zeigt, welche Konfliktpartei in den großen Nachrichtensendungen der Öffentlich-Rechtlichen
überwiegend als Aggressor dargestellt wird.


Quelle: http://www.bild.t-online.de/BTO/news/aktuell/2006/08/06/nahost-konflikt-hisbollah-raketen-tel-aviv/hg-ard-zdf.html


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